Verstehen beginnt mit Zuhören - Inklusion beginnt mit uns


Planung

Bekanntlich ist Planung in der Arbeit besonders wichtig: sei es um Ziele oder Deadlines zu erreichen, sei es um Projekte zu bewältigen, Personal- oder Budgetplanung.

Weniger bekannt und auch meistens unterschätzt ist, dass Menschen mit Hörbehinderung oft Planungsexperten sind.
Weil für sie das Verstehen generell viel Energie kostet, kann eine gute Planung sie dabei unterstützen, ihre restliche Energie besser zu verteilen.

Wenn ich zum Beispiel an einem Tag einen Workshop oder Kurs leite, plane ich am nächsten Tag wenig bis keine intensiven Aktivitäten, damit ich mich erholen kann.
In der Praxis bedeutet das für mich, dass ich im Alltag meine Aktivitäten sorgfältig plane.
Die Tatsache, dass ich meine sorgfältige Planung dabei regelmässig aufgrund unerwarteter Ereignisse anpassen muss, ist eine ständige Herausforderung. Das geht öfters auf Kosten der privaten Aktivitäten, denn die Arbeit hat ja Vorrang.
Manchmal bin ich am Ende eines Tages so müde, dass ich mich entscheide, eine Chorprobe oder eine andere für den Abend geplante Aktivität abzusagen.
Zum Glück kommt das nicht all zu oft vor, aber auch als Planungsexperte muss man manchmal Kompromisse eingehen.

Ob bei der Arbeit oder in meiner Freizeit, ich plane meist weit voraus. Zum Beispiel versteht nicht jeder, wenn ich mir einen Kursraum, in dem einer meiner Kurse stattfindet, im Voraus ansehe, damit ich am Tag des Kurses oder Workshops nicht überrascht werde. Oder wenn ich eine Reise oder einen Ausflug bis ins Detail vorbereite, auch wenn ich nicht allein reise.
Wenn ich alleine unterwegs bin, muss ich im Voraus abschätzen, welche Hindernisse mir möglicherweise begegnen.

Eine Verspätung, eine Umleitung oder ein plötzlicher Ausfall des ÖV kann bereits grosse Auswirkungen haben. Ich verstehe die Lautsprecherdurchsagen mit den wichtigen Informationen nicht, manchmal werden die Informationen nicht oder zu spät auf den Anzeigetafeln gezeigt. Wenn ich das übersehe oder etwas zu spät erfahre, laufe ich das Risiko einen Anschluss zu verpassen und zu spät zu kommen, obwohl ich nach meiner Planung (sehr) rechtzeitig abgereist bin.

Das ist nur ein Beispiel von vielen, wenn man eine Hörbehinderung hat. So wäre auch denkbar, dass eine Teambesprechung verschoben wird und dies mündlich mitgeteilt wird. Dann ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass der Kollege mit Hörbehinderung diese Information nicht mitkriegt.

Ohne ein Bewusstsein dafür, was leider oft der Fall ist, steht der Kollege mit Hörbehinderung vor verschlossener Tür oder verpasst die neue Teamsitzung. Sie können dies verhindern, indem Sie den Kollegen kurz persönlich oder per E-Mail informieren.

Oft sind es kleine Details wie diese, mit denen Sie einen Mitarbeiter oder Kollegen mit einer Hörbehinderung am Arbeitsplatz unterstützen können, die für sie zu einer besseren Planung, weniger Frust und Energieverschwendung beitragen und mehr Energie für die wichtigen Aufgaben übrig lassen. Und davon profitieren nicht nur die Mitarbeiter mit einer Hörbehinderung, sondern alle Mitarbeiter!


(Un)Möglich

Vor kurzem habe ich auf LinkedIn die Geschichte eines HR-Mitarbeiters gelesen. Er wurde von einer gehörlosen Person zu einem Vorstellungsgespräch angerufen. Ja, Sie haben richtig gelesen: angerufen.
Dieser Anruf erfolgte über einen Telekommunikationsdienst, wobei ein Dolmetscher das Gespräch für beide Gesprächspartner übersetzte.
Der Personalverantwortliche, der zunächst nicht wusste, wie er reagieren sollte, schrieb, dass er bald sehr begeistert von dem Gespräch und dem Bewerber war. Folglich erhielt der gehörlose Bewerber die Stelle.
Dieses Beispiel zeigt, was Mut und Offenheit gegenüber einem Bewerber mit Behinderung und das Ausloten von Möglichkeiten bewirken können.
Leider scheint dies in der Praxis immer noch eine Ausnahme zu sein. Zu oft wird nur darauf geschaut, was jemand nicht kann, im Falle eines Arbeitssuchenden oder Arbeitnehmer mit einer Hörbehinderung, Telefonieren.
Dass es am Arbeitsplatz mehrere Möglichkeiten gibt, eventuelle Einschränkungen zu umgehen oder anderweitig zu lösen, wird oft übersehen oder als "zu kompliziert" empfunden.
Dabei kann eine Lösung manchmal so einfach sein. Ich selbst hatte zum Beispiel mal einen gehörlosen Kollegen, der nicht telefonieren konnte. In der Praxis übernahm ein anderer Kollege seine Telefonarbeit, und der gehörlose Kollege übernahm einige der administrativen Aufgaben dieses Kollegen. Diese Art der Zusammenarbeit hat sehr gut funktioniert.Nur zu gut kann ich mich selbst noch daran erinnern, wie mir bei einem Tierheim sogar Freiwilligenarbeit, mit Tierheimhunden spazieren gehen, verweigert wurde, weil man befürchtete, der Lärm wäre zu laut für mich und ich würde es nicht hören, sollte einen Hund sich mal aggressiv verhalten.
Beim Katzenstreicheln galt das gleiche Argument, dass ich eine mögliche Aggressivität nicht bemerken würde. Da ich aber selber zwei Katzen hatte, konnte ich dieses Argument schnell und überzeugend widerlegen.
Es war aber das erste Mal, dass mir auf Grund meiner Hörbehinderung etwas verweigert wurde und zugegeben, das war ein grosser Schock für mich.
Das hat mir damals die Augen geöffnet und mir bewusst gemacht, dass es nicht selbstverständlich ist, dass man mit einer Behinderung alles erreichen kann was man sich wünscht.
Seitdem setze ich mich für mich und andere Menschen mit Hörbehinderung dafür ein, vor allem in Möglichkeiten zu denken, ohne dabei natürlich die Realität aus den Augen zu verlieren.
Mal ganz ehrlich: Wenn jemand mit einer Hörbehinderung gerne Reiseleiter oder Fremdenführer werden möchte, von dem erwartet wird, dass er viel verbal kommuniziert, warum sollte das unmöglich sein?
Die heutige Technik bietet viele Hörlösungen, der Einsatz von Schreib- oder Gebärdensprachdolmetschern ist möglich und es ist sicher auch denkbar, sich auf die Zielgruppe der Führungen bzw. der Führungen für Menschen mit Hörbehinderung zu spezialisieren.
Einer meiner niederländischen Kollegen gründete ein erfolgreiches Unternehmen mit dem vielsagenden Namen: "Kunst des Möglichen" (Kunst van het mogelijke) und genau so ist es auch.

Brücken bauen

Als Moderatorin für Sensibilisierungsworkshops Hörbehinderung gehe ich immer offen in den Workshops. Die Teilnehmergruppen sind vielfältig, mal sind es Busfahrer, mal sind es Mitarbeiter einer Verwaltung oder eines Museums.
Für mich ist gerade diese Vielfalt das Tolle an der Arbeit. Kein Workshop ist wie der andere, auch wenn das Grundkonzept gleich ist.
Was fast immer da ist, sind das Interesse, die Neugier und die Motivation der Teilnehmer.

Führend in meinen Workshops und Kurse sind Fragen, Bemerkungen oder Erfahrungen und Wissen der Teilnehmer.

Die am häufigsten gestellte Frage in meinem Workshop ist "Wie kann ich einer Person mit Hörbehinderung helfen, ohne sie zu kränken, zu bevormunden und ohne etwas Falsches zu sagen oder zu fragen?"
Meiner Erfahrung nach sind Menschen durchaus bereit, die Behinderung einer anderen Person zu berücksichtigen, wissen aber oft nicht, wie. Eine unsichtbare Behinderung wie eine Hörbehinderung macht es ihnen in dieser Hinsicht nicht gerade leicht.
Eine Hörbehinderung ist nicht nur unsichtbar, sondern geht noch regelmässig mit Tabus, Scham und negativen Assoziationen einher.
Betroffenen fühlen sich oft einsam und isoliert und ziehen sich zurück.

Um eine Brücke zu bauen, müssen sich Menschen mit und ohne Hörbehinderung aufeinander zu bewegen.
Dies kann nur durch mehr Aufmerksamkeit und Aufklärung über Hörbehinderung geschehen, aber auch durch mehr Offenheit und klare Angaben der Betroffenen selbst, was sie für eine gute Kommunikation brauchen. An beiden Seiten mangelt es leider noch zu oft.
Die Offenheit, die ich heute besitze, ist das Ergebnis eines langen Lernprozesses. Dieser ist noch nicht abgeschlossen und wird wahrscheinlich nie enden.

Ist der Seufzer "Nun habe ich es zum x-ten Mal wiederholt und er/sie hat es immer noch nicht verstanden" nicht ebenso wichtig wie der Seufzer "Nach meiner x-ten Bitte, dies nicht zu tun, reden sie noch immer ständig durcheinander und ich verstehe keiner"?

Wäre es nicht wesentlich besser, wenn wir lernen würden, uns gegenseitig besser zu verstehen, wenn wir uns eine Brücke bauen würden?
Genau das ist der Zweck der Weiterbildungsangebote bei Arbeit und Kommunikation .

Gut hörende Teilnehmer erfahren, wie schwierig es ist, zu verstehen, wenn sie weniger hören, Teilnehmer mit einer Hörbehinderung erfahren, wie sie selbst mit mehr Offenheit, mehr Klarheit über ihre eigenen Bedürfnisse die sie auch deutlich äussern, indem sie öfter auf Dolmetscher oder Hilfsmittel am Arbeitsplatz zurückgreifen, die Kommunikation verbessern können.